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Das Universum ist ein unzugänglicher, unverständlicher und völlig absurder Ort ... von dem das Leben – insbesondere das intelligente Leben – entfremdet ist. Es gibt keine Sicherheit und kein Grundprinzip, auf dem das Universum beruht. Es gibt nur vorübergehende, verborgene Beziehungen, die sich auf wenige Aspekte beschränken und zwangsläufig nicht von Dauer sind.
Meditationen aus Bifrost Eyrie,
Texte des Buddhislam
Rabbans Gemetzel an den Pelzwalen im Tula-Fjord war nur die erste einer ganzen Reihe von Katastrophen, die über Abulurd Harkonnen hereinbrachen.
Eines sonnigen Tages, als nach einem langen und harten Winter endlich das Tauwetter einsetzte, wurde Bifrost Eyrie unter einer schrecklichen Schneelawine begraben. Es war das größte der Bergklöster, die von den abgeschieden lebenden buddhislamischen Mönchen errichtet worden waren, und gleichzeitig der Stammsitz der Vorfahren des Hauses Rabban.
Schnee und Eis stürzten in einem weißen Inferno herab und machten alles dem Erdboden gleicht. Gebäude wurden zerstört und Tausende von Gläubigen verschüttet. Emmis Vater Onir Rautha-Rabban schickte ein dringendes Hilfeersuchen ins Blockhaus.
Bedrückt bestiegen Abulurd und Emmi einen Ornithopter, der mehrere große Transporter mit einheimischen Freiwilligen anführte. Abulurd steuerte das Gefährt mit einer Hand, während die andere die seiner Frau hielt. Er nahm sich einen Moment Zeit, um ihr markantes Profil und das lange schwarze Haar zu studieren. Obwohl sie im klassischen Sinne keine Schönheit war, wurde er nie müde, sie zu betrachten und in ihrer Nähe zu sein.
Sie flogen die zerklüftete Küste entlang und drangen dann tief in die wilden Berge vor. Viele der isolierten Klöster hatten nicht einmal Straßen, die in die steilen Täler führten. Alle benötigten Rohstoffe wurden aus den Bergen gewonnen; die Menschen und Vorräte kamen per Thopter.
Vor vier Generationen hatte das geschwächte Haus Rabban die Industrie und die finanziellen Anrechte auf den Planeten an die Harkonnens abgetreten – unter der Bedingung, dass ihnen ein Leben in Frieden gestattet wurde. Die religiösen Orden bauten Klöster und konzentrierten ihre Aktivitäten auf Schriften und Sutras, mit denen sie die subtilsten Nuancen der Theologie zu ergründen versuchten. Dem Haus Harkonnen war es einerlei.
Bifrost Eyrie war eine der ersten Städte gewesen, die wie ein Traum von Shangri-La in den unzugänglichen Gebirgszügen erbaut worden waren. Steinmetze errichteten die Gebäude so hoch auf den Klippen, dass sie über die ewige Wolkendecke Lankiveils hinausragten. Von den Meditationsbalkonen sah es aus, als würden die Berggipfel wie Inseln in einen Meer aus weißen Kumuluswolken treiben. Die Türme und Minarette waren mit Gold überzogen, das man mühsam in fernen Lagerstätten abgebaut hatte; jede flache Wand war mit Reliefs verziert, die uralte Sagen oder moralische Allegorien darstellten.
Abulurd und Emmi hatten Bifrost Eyrie viele Male besucht, um ihren Vater zu treffen oder sich einfach zurückzuziehen und auszuspannen. Als sie nach sieben Jahren vom staubigen Arrakis nach Lankiveil zurückgekehrt waren, hatten sie beide einen ganzen Monat in Bifrost Eyrie benötigt, um ihren Geist zu reinigen.
Und jetzt hatte eine Lawine dieses großartige Monument fast völlig zerstört. Abulurd wusste nicht, ob er den Anblick der Verwüstung würde ertragen können.
Sie saßen angespannt nebeneinander, während er den Ornithopter lenkte und versuchte, das Gefährt in den unberechenbaren Windverhältnissen ruhig zu halten. Da es nur wenige Landmarken und keine Straßen gab, verließ er sich auf die Koordinaten, die das Navsystem des Thopters anzeigte. Sie überwanden einen messerscharfen Grat und flogen über ein weites Gletschertal. Dann ging es einen schwarzen Abhang hinauf, über dem die Stadt lag. Das Sonnenlicht war blendend hell.
Emmi blickte mit ihren jaspisbraunen Augen in die Ferne, zählte Berggipfel, um sich zu orientieren, und zeigte dann auf eine Stelle, ohne mit der anderen Hand seine loszulassen. Abulurd erkannte ein paar golden glitzernde Türme und die milchweißen Steine, aus denen die großartigen Gebäude errichtet worden waren. Ein komplettes Drittel von Bifrost Eyrie war buchstäblich ausradiert worden, als hätte ein gigantischer Eisbesen den Felshang geglättet und von allen Hindernissen gesäubert, ganz gleich, ob es Steine, Gebäude oder betende Mönche waren.
Der Thopter landete auf dem ehemaligen Hauptplatz der Stadt, der nun als Ausgangspunkt der Rettungsaktionen diente. Die überlebenden Mönche und Besucher hatten sich über das Schneefeld verteilt, wo sie mit provisorischen Werkzeugen oder sogar mit bloßen Händen versuchten, weitere Überlebende zu retten. Doch hauptsächlich gruben sie gefrorene Leichen aus.
Abulurd stieg aus dem Thopter und streckte seiner Frau eine Hand entgegen, um ihr zu helfen. Er machte sich Sorgen, falls ihre Beine genauso zitterten wie seine. Obwohl kalte Böen ihnen feinen Eisstaub ins Gesicht wehten, waren die Tränen, die in Abulurds blassen Augen standen, nicht auf den Wind zurückzuführen.
Als der Bürgermeister Onir Rautha-Rabban sie sah, eilte er sofort herbei. Sein Mund über dem bärtigen Kinn öffnete und schloss sich ein paarmal, aber er brachte kein Wort heraus. Schließlich schlang er einfach die dicken Arme um seine Tochter und drückte Emmi fest an seine mächtige Brust. Auch Abulurd begrüßte seinen Schwiegervater mit einer Umarmung.
Bifrost Eyrie war für seine Architektur und die Prismenfenster berühmt gewesen, die Regenbogeneffekte auf die Berge spiegelten. Die Menschen, die hier lebten, waren Handwerker, die künstlerisch wertvolle Stücke an wohlhabende und anspruchsvolle Kunden von anderen Welten verkauften. Am berühmtesten waren jedoch die unersetzlichen Bücher, in feinster Kalligraphie ausgeführte und mit Illustrationen versehene Kopien der umfangreichen Orange-Katholischen Bibel. Nur die reichsten Großen Häuser des Landsraads konnten sich eine von den Mönchen Lankiveils handgeschriebene und illuminierte Bibel leisten.
Von besonderem Interesse waren die singenden Kristallskulpturen gewesen, die man aus Höhlen geholt und sorgsam nach Wellenlängen arrangiert hatte, sodass ein Quarzkristall, wenn er angeschlagen wurde, den nächsten zur Resonanz brachte und so weiter, bis eine harmonische Musik ertönte, wie sie im ganzen Imperium einzigartig war ...
»Weitere Arbeiter und Transporter sind bereits unterwegs«, sagte Abulurd zu Onir Rautha-Rabban. »Sie bringen Werkzeug und lebensnotwendige Dinge mit.«
»Wir sehen hier nur Kummer und Trauer«, sagte Emmi. »Ich weiß, dass es noch zu früh ist, um einen klaren Gedanken zu fassen, Vater, aber können wir irgendetwas für euch tun ...?«
Der breitschultrige Mann mit dem grauen Bart nickte. »Ja, durchaus, meine Tochter.« Onir blickte Abulurd in die Augen. »Unser Zehnter an das Haus Harkonnen ist nächsten Monat fällig. Wir haben genügend Kristalle, Wandteppiche und Bücher verkauft und die entsprechende Geldsumme zur Seite gelegt. Aber nun ...« Er deutete auf die Ruinen, die die Lawine hinterlassen hatte. »Alles liegt irgendwo dort begraben, und das Geld, das wir noch haben, brauchen wir für ...«
Im ursprünglichen Vertrag zwischen den Häusern Rabban und Harkonnen hatten sich alle religiösen Siedlungen auf Lankiveil verpflichtet, jedes Jahr eine bestimmte Summe abzutreten. Damit waren sie von allen weiteren Verpflichtungen befreit und wurden in Ruhe gelassen. Abulurd hob die Hand. »Kein Grund zur Sorge.«
Obwohl die Rücksichtslosigkeit eine Tradition seiner Familie war, hatte sich Abulurd stets bemüht, ein guter Mensch zu sein und andere mit dem Respekt zu behandeln, der ihnen zustand. Doch seit sein Sohn die Wale aus dem Tula-Fjord vertrieben hatte, kam er sich vor, als würde er in ein dunkles, tiefes Loch rutschen. Nur seine Liebe zu Emmi hielt ihn noch aufrecht und gab ihm Kraft und Optimismus.
»Lasst euch damit so viel Zeit, wie ihr braucht. Jetzt kommt es darauf an, Überlebende zu finden und mit dem Wiederaufbau zu beginnen.«
Onir Rautha-Rabban war so verzweifelt, dass er nicht einmal die Kraft für Tränen hatte. Er starrte auf die Leute, die am Berghang arbeiteten. Die Sonne strahlte am klaren blauen Himmel. Die Lawine hatte das Leid, das sie über seine Welt gebracht hatte, mit einem makellosen Weiß übertüncht.
* * *
In seinem Privatzimmer auf Giedi Primus, in das er sich häufig mit seinem Neffen und dem Mentaten zum Grübeln zurückzog, reagierte Baron Harkonnen mit angemessener Entrüstung auf die Neuigkeit. Er hüpfte mithilfe seines Suspensorgürtels durch das Durcheinander, während die anderen auf Formsesseln Platz genommen hatten. Ein neuer Gehstock, der hauptsächlich dekorativen Zwecken diente, lehnte gegen den Sessel, stets in Reichweite, falls es ihm danach war, jemanden zu schlagen. Im Gegensatz zu seinem ersten, den er vom Balkon geworfen hatte, war der Griff dieses Stocks mit einem Harkonnen-Greifen verziert.
Dekorative Säulen ragten in jeder Ecke des Raumes auf und trugen zur stilistisch sehr uneinheitlichen Architektur bei. In einer Ecke stand ein trockener Springbrunnen. Es gab keine Fenster, da der Baron ohnehin nur selten die Aussicht zu genießen wünschte. Die polierten Fliesen fühlten sich kalt unter seinen bloßen Füßen an, die den Boden dank seiner Suspensoren wie ein Flüstern berührten. In einer anderen Ecke lag eine Stange mit dem zerknüllten Banner der Harkonnens an der Wand, seitdem irgendjemand sie dorthin geworfen hatte.
Der Baron bedachte Glossu Rabban mit einem finsteren Blick. »Dein Vater demonstriert wieder einmal, wie weichherzig und schwachköpfig er ist.«
Rabban zuckte zusammen, da er befürchtete, mit dem Befehl zurückgeschickt zu werden, Abulurd zur Vernunft zu bringen. Er trug eine gepolsterte ärmellose Jacke aus braunem Leder, die seine muskulösen Arme freiließ. Sein kurz geschorenes rotes Haar war durch den Helm, den er häufig trug, zu einer Tolle aufgeworfen worden. »Es wäre schön, wenn du mich nicht ständig daran erinnerst, dass er mein Vater ist«, versuchte er den Zorn des Barons abzulenken.
»Seit vier Generationen waren die Zahlungen der Klöster von Lankiveil ein stetig fließender Strom. So wurde es vertraglich mit dem Haus Rabban vereinbart. Sie haben immer pünktlich gezahlt. Sie kennen die Bedingungen. Und jetzt wollen sie sich wegen ein bisschen ...« – der Baron schnaufte – »Schnee vor ihren Abgaben drücken? Wie kann Abulurd einfach so mir nichts, dir nichts seine Untertanen von ihren steuerlichen Verpflichtungen befreien? Wo bleibt sein Verantwortungsgefühl als planetarischer Gouverneur?«
»Wir können jederzeit verfügen, dass die anderen Städte mehr zu zahlen haben«, schlug Piter de Vries vor. Er zuckte nervös, als ihm zusätzliche Möglichkeiten durch den Kopf gingen. Er stand von seinem Sessel auf und ging durch den Raum auf den Baron zu. Sein loses Gewand rauschte, als er mit der Anmut und Lautlosigkeit eines rachsüchtigen Geistes dahinglitt.
»Ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, einen derartigen Präzedenzfall zu schaffen«, sagte der Baron. »Mir ist es lieber, wenn unsere Finanzen ordentlich geregelt sind – und bislang hat es nie Probleme mit Lankiveil gegeben.« Er begab sich zu einem kleinen Tisch und goss sich ein Glas Kirana-Brandy ein. Er nippte daran und hoffte, dass das rauchig schmeckende Getränk die Schmerzen aus seinen Gelenken vertrieb. Seit er mit dem Schwebemechanismus ausgestattet war, hatte der Baron sogar noch mehr zugenommen, weil er sich kaum noch bewegte. Sein Körper fühlte sich wie ein belastender Klotz an, der an seinen Knochen hing.
Die Haut des Barons verströmte den Duft von Eukalyptus- und Nelkenöl, die seinem täglichen Bad beigemischt wurden. Die Massagejungen hatten ihm Salben tief in die Haut eingerieben, doch sein dahinsiechender Körper verspürte kaum Linderung.
»Wenn wir mit einer Stadt Nachsicht üben, wird das zu einer Epidemie inszenierter Katastrophen führen.« Er verzog die vollen Lippen zu einem Schmollmund, und seine pechschwarzen Augen suchten nach Rabban.
»Ich verstehe gut, warum du unzufrieden bist, Onkel. Mein Vater ist ein Idiot.«
De Vries hob einen langen, knochigen Finger. »Ich möchte auf etwas anderes hinweisen, mein Baron. Lankiveil wirft durch den Walpelzhandel hohe Gewinne ab. Praktisch unsere gesamten Einnahmen kommen aus diesem Gewerbezweig. Die Erlöse des Kunsthandwerks in den Klöstern sind nicht zu verachten, ja ... aber insgesamt ist es nur ein unbedeutender Anteil. Generell ist es natürlich wichtig, dass alle bezahlen, aber wir brauchen dieses Geld nicht.« Der Mentat machte eine Pause.
»Worauf willst du hinaus?«
Er hob die buschigen Augenbrauen. »Ich will damit sagen, Baron, dass wir es uns in diesem speziellen Fall leisten können – wie soll ich sagen? –, ein Exempel zu statuieren.«
Rabban lachte laut und schallend, ganz ähnlich wie sein Onkel. Sein Exil auf Lankiveil war für ihn immer noch ein wunder Punkt.
»Das Haus Harkonnen herrscht über das Lehen von Rabban-Lankiveil«, sagte der Baron. »Angesichts der Schwankungen auf dem Gewürzmarkt müssen wir jedes gewinnbringende Unternehmen unter Kontrolle halten. Vielleicht haben wir die Aktivitäten meines Halbbruders etwas zu nachlässig beobachtet. Vielleicht glaubt er jetzt, dass er nach Belieben Milde walten lassen kann, ohne dass wir eingreifen. Solche Ideen dürfen wir nicht tolerieren.«
»Was willst du tun, Onkel?« Rabban beugte sich vor und kniff die dicken Augenlider zusammen.
»Die Frage ist, was du tun wirst. Ich brauche jemanden, der mit Lankiveil vertraut ist und weiß, wie man Machtansprüche durchsetzt.«
Rabban schluckte nervös, weil er ahnte, was kommen würde.
»Du wirst nach Lankiveil zurückkehren«, befahl der Baron. »Aber diesmal nicht in Ungnade. Diesmal hast du dort eine Aufgabe zu erledigen.«